KLACKS

Die letzten Wochen und Monate waren wahrlich kein KLACKS, deshalb beginnen wir unsere coronierte Ausstellungsreihe Doppelpass mit Doppelspass und KLACKS!

KLACKS da sind wir wieder! Endlich wieder ein Kulturleben in Backnang!

Wir konnten die Ausstellung KLACKS von Nicole Ostheimer & Fabian Baur sogar mit einer Out-Door-Vernissage eröffnen.

Nicole Ostheimer lebt in Linien, sie erzählt Liniengeschichten, führt Liniengespräche, macht Linienmusik. Sie tätowiert ihre Liniengeschichten oft auf Reispapier, eine hauchdünne aber äußerst reisfeste japanische/chinesische Papiersorte, mit Stahlfedern und Zeichen-Tuschen.

Das harte Schaben und Kratzen, das Eindringen ins Papier, der erhabene, haptisch fühlbare Stand der Zeichnung auf dem Papier, die Liniensinnlichkeit erzählen von einer Wanderung mit vielen Kreuzungen, Durchquerungen und Notationen aus dem „GesternHeuteMorgen“, wie sie eine Ihrer Serien nennt. Eine andere Serie nennt sie liebevoll „INKLINGS“, dort begegnen wir Linien, die zu insektenhaften oder menschlich wirkenden Figurationen werden.

Die Zeichnungen wirken fragil und fest zugleich, sie erzählen aus einem INNEREN Bewußt-sein, man möchte sagen aus einer Kontemplation, einer aufmerksamen Betrachtung des inneren und äußeren Lebens, wie wir es kennen, wenn wir zum Beispiel allein gedanken-versunken auf einer Wanderung sind, sich dabei Gesehenes, Beobachtetes mit unserem eigenen Leben verschmilzt. Oder es ist wie bei Musik, wo wir hören und sie sich gleichzeitig mit unserem Leben, Fühlen und Denken verbindet.

In ihrem „Allstars Football Book“, das im großen Raum des 1 OG gezeigt wird, überführt sie den Fußball – das menschliche Großereignis, mit ihrer Zeichenfeder in eine tiefe, skurrile, witzige, tragikomische Welt der Begegnungen, Schnappschüsse, Verrenkungen, Durchdringungen, Überlagerungen, Stolperungen und wir merken bei der Betrachtung – hier spielt sich der ganze Kosmos des menschlichen Lebens ab. Eine großartige zeitgenössische Arbeit in der Provinz, in Backnang, ganz ohne Konvention – wir haben es hier mit einer künstlerischen Position zu tun, die zum großen Ganzen oder zum ganz Großen gehört.

Nicole Ostheimer hat Produktdesign in Kassel studiert und absolvierte ihren BA in Product Design am Central St Martins College in London, wo sie 10 Jahre lang lebte und mit Ihren freien künstlerischen Arbeiten bei verschiedenen Ausstellungen und Projekten beteiligt war. Seit 2012 wieder in Deutschland arbeitet sie als freie Illustratorin und Zeichnerin und hat für öffentliche Gebäude in Kaiserslautern, Trier und Konstanz mehrere Decken- und Wandarbeiten mit ihren „Liniengesprächen“ realisiert.

Fabian Baur wird vom Material angezogen, er sagt dazu: „ich werde vom Material erzogen“. Wir begegnen in einem der abgedunkelten Räume seinen 7 „Malfatis“, (übersetzt schlecht gemacht), das sind 7 kopflose Pappkerle, die in der Dunkelheit herumstehen, -lehnen, hocken oder herumlungern. In der Mitte liegt ein orthogonal liniertes Rechteck aus dunklem, kachelartig angeordneten Material, „Belcanto“, schöner Gesang. Eine sehr skurrile Begegnung. Aus zu hart gewordenem Ton, der nicht mehr mit den Händen bearbeitet werden konnte, hat Fabian Baur seine Hammer-Heads gebildet. Das Tonmaterial konnte nur noch mit dem Hammer bearbeitet werden, die Köpfe sind also aus einem Tonklumpen mit dem Hammer herausgetrieben worden, beim Brennen sind alle in Einzelteile zerplatzt, Fabian hat sie mit Kaugummi wieder zusammengeklebt. Er wird vom Material erzogen.

Im 2.OG finden wir eigenartige wirkende Material-Häutungen auf perfekt gegossenen Gipsplatten. Im großen Raum dürfte es bei jedem Besucher KLACKS machen, spätestens hier merken wir, dass der Künstler vom Material erzogen wird: in einer Art „Wohnung der Dinge“ hat Fabian Baur 200 Markroplastiken, wie es sie bezeichnet in einem Wohnkomplex zusammengeführt.

Die Fundstücke, die auf alltäglichen Gängen den Weg in seine Hosentasche fanden, verlorene Stöpsel, weggeworfene Verschlüsse, übrige Drahtschnipsel, Kügelchen aus Glas, Scheibchen aus Plastik arrangiert er sehr feingliedrig und –sinnig mit minimalistischen Mitteln. Sie bekommen und führen ein neues skulpturales Eigenleben von geradezu monumentalem Ausmaß, obwohl sich die Maße in cm- und mm-Bereich bewegen. Ihre jeweiligen Wohnungen sind liebevoll mit gemalten Hintergründen im Halbrund ausgestattet, die alle aus den entsorgten Bildern seines Vaters herausgeschnitten wurden. Dieses skurrile Hoch- oder Querhaus beherbergt das Übriggebliebene, die Reste, das Verlorene und Wiedergefundene einer Welt, die wir alle kennen, doch nie beachten in Nachhaltigen Zeiten.

Auch hier gelingt Fabian Baur eine großartige zeitgenössische Arbeit in der Provinz, in Backnang, ganz ohne Konvention – die zum großen Ganzen oder zum ganz Großen gehört.

Fabian Baur hat nach einer Ausbildung zum Gärtner an der AKA Stuttgart bei Prof. Groß, Fleischmann und Susanne Windelin studiert. Er leitet die Jugendkunstschule [Klammer] in Weissach.

Ich möchte das künstlerische Schaffen der beiden mit 2 Texten von Kurt Schwitters, dem großen Dadaisten begleiten:

WENN JEMAND UNLINIERT IST

Wenn jemand unliniert ist, so muss er immer wieder feststellen, dass die Welt liniert ist. Wie ein Zebra ist die Welt in Streifen geteilt, und dabei hat sie nur ein einziges Fell. Auf den Linien ist die Welt beschrieben, und dadurch unterscheidet sie sich von dem Zebra, das meistens nur selten beschrieben ist. Das liegt aber wiederum daran, dass man auf Fell schlecht schreiben kann. Wie ein unbeschriebener Briefbogen läuft das arme Zebra nun in der Welt herum, welche im Gegensatz zu ihm von links nach rechts beschrieben ist.

DIE SCHNEEEWIGKEIT

Wenn die glühkalte Schneeewigkeit zirpt, Belladonna im Knopfloch puffmunkeln die Blumen, zerzirpen in Tuben, von rechts, von unten, und auch von der Mitte. Pich fiff perlogierte der Generalvertreter der Aktiengesellschaft im linken Bein. Jawohl, im linken Bein. Ich sage ausdrücklich, im linken Bein, denn rechts kann er es nicht, rechts darf es nicht sein, rechts soll es nicht sein … und dabei war es rechts. –

In der Mitte des langen, grünlichen Geschlechts, wo die Waden vom Unterleib bis zum dreigeteilten Zeitvertreib quellen, die Kirchenuhr in der Hosentasche geht er einher, ein gute Wehr und Waffen, die uns jetzt hat betroffen, singt klein, schnalzt klein, mit seinem linken Bein, und lässt es schließlich wieder sein.

Dann kommt der gelbe, ungesalzene Stolz, aus Perfinn und grobem Holz, innen unverblümt, außen aus Mahagoni, in der linken Ferse einen Gummiring.

Mit diesem Gummiring als Lorgnon zerschlitzt er seinem Vordermann das grüne Auge, so dass er auf der einen Seite chinesisch wird. Rührt man nun mit dem anderen Auge die Kirchenuhr von der Tasche ins Knopfloch und die Belladonna in die Bleitube, so platzt die Kunstgewerbeschule und ist auf der Stelle tot.

Mit Toten aber haben piep die Lebendigen keine Gemeinschaft im Schaft; daher die Kluft, die klafft.

Wann und Wo

Eintritt: Eintritt frei
Ausstellungszeitraum: 05. Juli bis 02. August 2020
Galerie im Helferhaus im Petrus-Jacobi-Weg 5, 71522 Backnang
Öffnungszeiten: Di. – Fr. 17 – 19 Uhr ­| Sa. und  So. 14 – 19 Uhr geöffnet